HEIKO MARTENS
Heiko Martens studierte Drehbuch und Dramaturgie an der Filmuniversität Babelsberg "Konrad Wolf" und arbeitet seit 2008 er als freier Autor und Dramaturg. Neben Film und TV sind Hörspielserien ein wichtiges Tätigkeitsfeld. Mit PROF. SIGMUND FREUD gewann er den Ohrkanus 2012 als "Beste Serie". Heiko Martens unterrichtet an der Filmuniversität im Fachbereich Digitale Medienkultur und ist Mentor der Gruppe Film an der Akademie für Kindermedien. An der Master School Drehbuch führt er gemeinsam mit Oliver Schütte durch das SERIEN.lab. Heiko Martens wohnt in Potsdam.
Du arbeitest für Film und TV, mit Hörspielen und Games. Erzähl uns, wie Du zu Deinen verschiedenen Tätigkeiten gekommen bist.
Das hat sich schon während des Studiums organisch ergeben, denn ich fühlte mich in all diesen Bereichen zuhause. Mein Professor Alfred Behrens hat mich damals dazu gebracht, auch selbst Hörspiele zu schreiben, und das darf ich bis heute. Auch mit partizipatorischen Formaten wie z.B. Games, interaktiven Erzählungen und Wellenfeldsynthese-Hörspielen bin ich als Autor und Dramaturg erstmalig an der Filmuniversität in Berührung gekommen. Eines der Projekte trug auch den für mich bezeichnenden Titel: „Anything is a storytelling-device“. Das wechselseitige Verhältnis zwischen der Geschichte und der Form, in der sie erzählt werden soll, ist ungeheuer spannend.
Gibt es etwas, das in allen Medien gleichermaßen wichtig für einen gelungenen Stoffentwicklungsprozess ist?
Für mich ist die Kenntnis der dramaturgischen Regeln oberste Voraussetzung – hiernach dürfen dieselben dann nach aller Kunst gebogen und gebrochen werden, für eine gute Mischung aus dem Bedienen von Erwartungen und dem Generieren von Überraschung. Ein rechter Gemeinplatz, aber als Dramaturg ringe ich gemeinsam mit den Autor*innen häufig genug mit diesen Herausforderungen.
Daneben: Sitzfleisch, ohne ins Zynische abzugleiten. Man muss hartnäckig sein für die Vision, und darf weder als Mensch noch als Autor*in verbittern, während auf dem Weg vermeintliche Darlings gekillt werden. Nur das Tagebuch ist mit Fassung Eins zufrieden, der Rest ist immer Langstrecke.
Du bist seit vielen Jahren auch in der Lehre tätig. Auf welche Haltung legst Du als Dramaturgie-Dozent besonderen Wert?
Mir wurde erst kürzlich von einer Kollegin attestiert, ich arbeitete entgegen gängiger Gepflogenheiten, und sie meinte das – so glaube und hoffe ich – im positiven Sinne, weil ich mehrfach überraschend neue Türen öffnen konnte. Das hat mich dennoch etwas verunsichert – es gibt gängige Gepflogenheiten? Und wie kann man dagegen arbeiten?
Von außen betrachtet ist mein Ansatz wohl am ehesten systemisch, denn neben Genre und anderen Erzählkonventionen kommt die größte emotionale Kraft für mich immer aus dem Figurenensemble und seinen Verstrickungen.
Was zeichnet das SERIEN.lab aus?
Ich denke, dass der zweigleisige Ansatz, den ich mit Oliver Schütte zusammen verfolge, in den meisten Fällen sehr gut aufgeht: Zum einen entwickeln wir das persönliche Projekt, mit dem die Teilnehmer*innen bei uns aufschlagen, bis zu einer ersten, marktreifen Version. Zum anderen lernen die Autor*innen anhand eines parallel laufenden Projekts, das sehr stark an den Markt angelehnt ist, mit den Werkzeugen zu arbeiten, die es braucht. Beide Prozesse befruchten sich gegenseitig und bringen Werk und Autor*in voran. Es ist punktuell sicher viel Arbeit für die Teilnehmer*innen, aber den Anspruch, das SERIEN.lab mit seinen Ergebnissen berufsbegleitend zu verwirklichen, halte ich für machbar.
Du befasst Dich seit vielen Jahren mit Serien. Was hat sich in den letzten Jahren in Bezug auf das Serienschreiben verändert?
Ich kann nur für einen kleinen Teil der Serienlandschaft sprechen, als Autor wie als Dramaturg. In beiden Funktionen würde ich gerne eine Entwicklung in den Vordergrund stellen, die allerdings bei weitem noch nicht abgeschlossen ist: Ich habe – auch als Autor – erlebt, dass die Serienbibel oder auch ein fertiges Skript für Regie und Produktion lediglich eine Stoffvorlage waren, ein Vorschlag, der ohne mein Zutun im weiteren Verlauf und am Set verhandelt werden kann. Sicher auch eine Frage mieser Verträge, aber: Ich glaube, dass die Position der Autor*innen langsam besser wird – und sie eben keinen Vorschlag erarbeiten, sondern eine verbindliche Ansage. Die gängigen Leuchtturmserien sind mitunter seit Jahrzehnten in der Welt – die handwerkliche Expertise ist weder Teufelswerk noch Zauberei. Aber sie ist in der Regel am ausgeprägtesten bei den Autor*innen vorhanden.
Am spannendsten in der Stoffentwicklung sind für mich außerdem fast immer die Projekte mit einer sehr spitzen Zielgruppe – und nichts, was Kompromisse eingeht, um im Hinblick auf Primetime o.ä. Ecken und Kanten zu verlieren. Derlei Zugeständnisse kommen später im Prozess vielleicht noch früh genug.
Hast Du einen ultimativen Tipp für unsere Absolvent/innen, insbesondere für alle, die mit Serienkonzepten in die Branche einsteigen wollen?
Verbeiße dich dermaßen in deinen Stoff, dass du immer mit Abstand die/der Beste darin bist, ihn zu erzählen. Das bedingt die Kenntnis der eigenen Stärken und Schwächen. Hiernach kann man auch schmerzfrei zum Teamplayer werden, ohne das eigene Herz neben der Tastatur ablegen zu müssen. Denn ohne Team geht es nicht.
JACKIE GILLIES
Jackie Gillies war viele Jahre im Marketing tätig. In dieser Zeit hat sie Werbe- und Kurzfilme realisiert. 2017 absolvierte sie an der Master School Drehbuch die Ausbildung zum/r Autor/in für Film & TV. Den dort entwickelten Filmstoff konnte sie zu einem Serienkonzept weiterentwickeln, das von Crazy Film optioniert wurde. Mit Pit Riethmüller und MSD-Absolventin Bahar Bektas schreibt sie an einem Drehbuch und mit der Hamburger Produktionsfirma Mookwe entwickelt sie eine Doku-Serie. Jackie Gillies lehrt außerdem an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Dort liegt ihr Schwerpunkt auf den Themen Text und audiovisuelle Formate. Sie unterstützt Studierende bei eigenen Filmprojekten.
Du befasst Dich mit ganz unterschiedlichen Medien – vom Werbefilm über Serie und Kino bis hin zum wissenschaftlichen Erklärfilm. Erzähl uns, wie es dazu gekommen ist.
Ich bin generell sehr wissbegierig und es reizt mich, neue Themenfelder zu durchdringen. Ich wollte verstehen, wie die unterschiedlichen Formate funktionieren. Um mich dem Medium Film anzunähern, habe ich mich zunächst in der Kieler Kurzfilmszene ausgetobt. In der Werbeagentur waren dann wiederum völlig andere Perspektiven gefordert. Aber eigentlich schlug mein Herz schon immer dafür, eigene Geschichten zu erzählen, weshalb ich die Werbebranche dann wieder verlassen und die Ausbildung an der MSD gemacht habe.
Wie gelingt es Dir, zwischen den verschiedenen Formaten zu wechseln? Wie wichtig ist Dir dabei die jeweilige Zielgruppe?
Wenn man die Regeln der einzelnen Formate kennt, ist es gar nicht schwierig, hin- und her zu wechseln. Die Zielgruppe vor Augen zu haben ist immens wichtig, egal, um welches Format es geht. Man möchte ja, dass sich möglichst viele Menschen den Film anschauen und davon begeistert sind. Um das zu verstehen, hat mir die Arbeit in der Werbebranche sehr geholfen.
Du bist seit vielen Jahren auch als Dozentin für Wissenschaftskommunikation tätig. Auf welche Haltung legst Du dabei besonderen Wert?
Um ein fachfremdes Publikum zu erreichen, sollten Wissenschaftler:innen auf Fachjargon und zu viele Details verzichten, sonst kommt ihre Message bei der Zielgruppe nicht an. Gleichzeitig dürfen sie aber auch nicht soweit vereinfachen, dass es wissenschaftlich inkorrekt wird. Diesen Spagat zu schaffen ist eine interessante Herausforderung. Sie müssen sich in die Zielgruppe hineinversetzen: Welches Vorwissen hat diese, über welche Medien erreicht man sie, welche Fragen würde sie zu dem Thema stellen? Diese Aspekte sollten die Erzählung strukturieren.
Mit was beschäftigst Du Dich zurzeit am liebsten und warum?
Ich arbeite ja gerade parallel an mehreren Projekten und dabei gefällt mir auch die thematische Vielfalt: In meiner Serie geht es um jugendliche Lebenswelten, Identität und Hip Hop, um das Zerrissensein zwischen zwei Kulturen. Zeitgleich arbeite ich an einem historischen Stoff für ein Arthouse-Publikum. Bei einem weiteren Projekt habe ich den Auftrag, in einem vorliegenden Drehbuch die Figuren, Lebenswelten und Dialoge zu modernisieren, was auch eine sehr spannende Herausforderung ist. Durch meinen Background als Halbsüdafrikanerin fühle ich mich zu Stoffen, die sich mit kultureller Identität beschäftigen, besonders hingezogen. Es gibt noch viel, woran wir in unserer Gesellschaft arbeiten müssen und ich empfinde Film als ein wichtiges Instrument, um den gesellschaftlichen Wandel voranzutreiben, Horizonte zu erweitern, Verständnis und Empathie zu fördern.
Worauf hat Dich die Ausbildung an der Master School Drehbuch gut vorbereitet? Wovon warst Du trotzdem überrascht?
Die Master School Drehbuch hat mich gut darauf vorbereitet, wie die Branche funktioniert und mir wichtige Kontakte vermittelt. Und sie gab mir die Möglichkeit, mich mit Gleichgesinnten zusammenzutun. Wir hatten einen tollen Jahrgang, viele von uns sind noch immer in Kontakt. Wir geben uns Feedback oder entwickeln Stoffe zusammen. Wir machen einander Mut, wenn es mal nicht gut läuft, freuen uns gemeinsam über Erfolge und versuchen uns gegenseitig zu unterstützen. Das ist sehr wertvoll. Erstaunt hat mich, wie lang der Weg der Stoffentwicklung ist – wie viele Überarbeitungen es braucht, bis sich alle einig sind und man weiß: Jetzt funktioniert es, jetzt haben wir etwas Außergewöhnliches geschaffen! Und wie schwer es trotzdem ist, es in die Umsetzung zu bringen. Man braucht einen langen Atem.
Was macht Dir bei der Arbeit als Autorin am meisten Freude?
Wenn der Moment kommt, an dem die Figuren funktionieren, du sie in eine Situation steckst und beobachtest, was sie tun werden, so als hätten sie ein Eigenleben – das ist einfach magisch! Und wenn man dann merkt, dass auch andere Personen für deinen Stoff brennen und dir sogar Geld dafür geben, dann ist das natürlich eine riesige Freude. Gerade als Autor:in investiert man am Anfang seiner Karriere viel Zeit und Energie und muss dabei einige Opfer bringen. Feierabende und freie Wochenenden hatte ich in den letzten drei Jahren selten. Ich konnte mir zwischendurch auch meine Wohnung nicht mehr leisten, da ich keine volle Arbeitsstelle annehmen wollte, denn dann hätte ich keine Zeit mehr zum Schreiben gehabt. Da macht es einen sehr glücklich, wenn sich die Mühe auch irgendwann bezahlt macht.
Hast Du einen ultimativen Tipp für andere Absolvent/innen, insbesondere für alle, die mit Serienkonzepten in die Branche einsteigen wollen?
Lernt die Branche kennen, vernetzt euch. Arbeitet mit anderen zusammen, gebt euch gegenseitig Feedback. Am Ende zählen nicht nur die gute Idee, sondern auch Ausdauer und Commitment. Eure Partner müssen spüren, dass sie sich auf euch verlassen können und dass ihr abliefert.
Ich würde auch empfehlen, eine Fortbildung zu machen, die sich speziell mit der Seriendramaturgie beschäftigt (z.B. das Serien.LAB). Und viele, viele Serien gucken! Hier werden ständig dramaturgische Konventionen über Bord geworfen und Neues ausprobiert. Das zu analysieren hilft auch dem eigenen Geschichtenerzählen.