KYRA SCHEURER
Kyra Scheurer ist seit 1998 freie Filmdramaturgin mit den Schwerpunkten Literaturadaption, Debütprojekte und Dokumentarfilm. So wurde z.B. Chiara Fleischhacker bei der Entwicklung von VENA, dem Gewinner-Drehbuch des diesjährigen Strittmatter-Preises, von ihr beraten. Kyra Scheurer engagierte sich 15 Jahre lang im Vorstand des Verbandes für Film- und Fernsehdramaturgie VeDRA u.a. als stellvertretende Vorsitzende. Seit 2009 ist sie künstlerische Leiterin des Montage-Festivals Edimotion. Sie lebt und arbeitet in Berlin und Köln.
Gibt es eine erste Frage, mit der Du an einen Filmstoff oder ein Serienkonzept herantrittst?
Natürlich gibt es immer sehr viele Fragen an einen Stoff, dem man zum ersten Mal begegnet – am Anfang steht für mich aber wahrscheinlich die Frage, was für eine Identität der Stoff hat und ob er zu mir spricht, mich berührt.
Du berätst nicht nur die Entwicklung von Drehbüchern, sondern gibst auch Montage-Feedback. Wie hängen Stoffentwicklung und Schnitt zusammen?
Das sind die beiden wesentlichen Stufen, in denen dramaturgisch gearbeitet wird. Der gestalterische Blick von Editor*innen und Autor*innen auf das Erzählen ist also durchaus verwandt, auch wenn die Arbeitsweise sich unterscheidet. Beide Gewerke können viel voneinander lernen und ich als Dramaturgin ohnehin – ich finde es immer wieder sehr inspirierend, in beiden Phasen an Stoffentwicklung beteiligt zu sein.
Hat sich Dramaturgie in den letzten Jahren verändert?
Ja. Und nein. Das zu diskutieren kann abendfüllend sein.
Was braucht der deutsche Kinofilm, um dauerhaft erfolgreich zu sein?
Interessiertes, zugewandtes Publikum. Man sollte sich viel weniger Sorgen ums Kino machen und stattdessen einfach hingehen – es ist immer noch die allerschönste Art, einen Film zu erleben.
Du hast viele Drehbuch-Debütant:innen beim ersten Film begleitet. Hast Du einen Tipp für Einsteiger:innen?
Balance, Mut und Talent sind gleichermaßen wichtig. Balance von großen Visionen und frischen Ideen einerseits und genauer Kenntnis der Realität der Branche, des Marktes und der Medien, für die man schreiben möchte andererseits. Balance auch im eigenen Leben: Gerade wenn man noch Geld mit anderen Tätigkeiten verdienen muss, Kinder zu versorgen oder andere zeitraubende „Baustellen“ hat, ist es unabdingbar, genau hinzusehen, wo, wann und wie man am besten Zeit für’s Schreiben einplant. Denn nur wer schreibt ist Autorin oder Autor – regelmäßig, auch handwerklich versiert und hoffentlich mit einer Riesenfreude.
Wie sähe Dein Traumprojekt aus?
Ich finde gerade die Abwechslung an meinem Beruf so beglückend - dass ich im gleichen Monat ein mehrteiliges Dok-Format im Schnitt beraten kann, einen Animationskinderfilm für die große Leinwand in der Drehbuchentwicklung begleite, bei einer Ausschreibung aus vielen Einreichungen die inspiriertesten auswählen darf, einen Dokumentarfilm in der Konzeptionsphase mit gestalte, neuen Studierenden in einem Blockseminar begegne und außerdem für mein Festival kuratiere. Das sind übrigens keine fiktiven Beispiele, sondern ganz aktuell mein Arbeitsalltag im April und auf ihre Weise sind tatsächlich all diese Projekte Traumprojekte.
JOE VON HÜNERBEIN
Joe von Hünerbein produzierte Musikvideos, ehe er ab 1997 für Brainpool als Aufnahmeleiter und Producer Formate wie DIE HARALD SCHMIDT SHOW und TV TOTAL betreute. Nach insgesamt mehr als 1000 Shows absolvierte er 2020 an der MSD die Ausbildung zum/r Autor:in für Film & TV. Seine erste Fiction-Serie als Drehbuchautor, die Short-Dramedy STRAIGHT OUTTA CROSTWITZ, ist seit 23.03.22 in der ARD Mediathek zu sehen. Zurzeit entwickelt er u.a. im Auftrag der Katapult Film eine Workplace-Comedy-Serie für RTL2. Er ist Mitbegründer der „Schreibstube Hermannplatz“ in Berlin, der fünf weitere Autor:innen angehören.
Du hast 23 Jahre erfolgreich im Entertainment-Bereich gearbeitet. Warum der Wechsel zur Fiction?
Als Showproducer setzt du weniger die eigenen Visionen um, als die der Autoren und Produzenten. Dazu kommt, dass wir im TV-Total-Kosmos irre Freiheiten hatten, laufend neue Formate auf Sendung zu bringen. Nach diesem Ritt fiel mir im Entertainmentbereich nichts ein, was mich noch hätte kicken können. Also habe ich mir die Frage beantwortet, was am ehesten meinen Talenten entspricht: Geschichten zu erzählen, und zwar in Bild und Ton.
2020 warst Du in der Ausbildung zum/r Autor:in für Film & TV. Welches Erlebnis hat Dich dabei besonders geprägt?
Die sechswöchige Stoffentwicklung mit Dramaturgin Frauke Schmickl. Kritik nicht nur auszuhalten, sondern sie als Zuwendung zu begreifen und für seinen Stoff zu nutzen, halte ich für wesentlich. Auch die Auseinandersetzung mit den Stoffen meiner Mitschüler habe ich als anspruchsvoll empfunden. Sich parallel in sechs Stoffe reinzudenken, während man täglich stundenlang schreibt, war ein perfektes Training für den Arbeitsalltag eines Drehbuchautors.
Wie lief die Entwicklung von STRAIGHT OUTTA CROSTWITZ ab? Offenbar gab es keinen Writers' Room.
STRAIGHT OUTTA CROSTWITZ stand von Anfang an unter einem guten Stern. Ich habe zwar die Bücher geschrieben, aber von den beiden Regisseuren Daniel Lwowski und Andreas Nowak kam jede Menge Input, auch für die Lyrics der Rap-Battles. Gefühlt befand ich mich also durchaus in einer Art Writers' Room mit zahllosen intensiven Buchbesprechungen.
Mit welchen Schwierigkeiten bei Deinem Einstieg als Drehbuch-, insbesondere Serienautor hast Du gerechnet? Was hat Dich überrascht?
Ich war auf einen zähen Anlauf eingestellt. Unerwartet fix kam dann die Connection zur Katapult Film zustande. Unglaublich fand ich, dass wir auch gleich bei der MDR-Streaming-Offensive gewonnen haben. Unsere Redakteurin Denise Langenhan war nicht nur superfit, sie genoss auch das volle Vertrauen ihrer Chefredaktion. Das hat der Serie gut getan und mir meine Rolle als Newcomer leicht gemacht.
Hast Du Tipps für andere Quereinsteiger?
Sich komplett committen, also Fixkosten und Ansprüche runterfahren, damit man Zeit zum Schreiben hat. Ein Drehbuch zu Ende schreiben, um die Identität des Drehbuchautors anzunehmen. Wenn es irgend geht, an ein Produktionshaus andocken, das spart Energie. Nicht rumheulen, wenn ein Stoff in der Schublade verschwindet, sondern dafür sorgen, dass der nächste schon in der Pipeline ist. Wer an sein Talent glaubt und seine Hausaufgaben macht, für den muss es früher oder später klappen. Die anderen kochen auch nur mit Wasser, egal, wie fett ihre Filmografien sind.
Wie sähe Dein Traumprojekt aus?
Ich fühle mich in der Dramedy zuhause, weil sie aus meiner Sicht am ehesten unsere Wirklichkeit abbildet. Serie ist für mich attraktiv, weil ich aufgrund der vielen Erzählzeit tief in die Figuren einsteigen kann. Mein Traum wäre es, als Teil eines Writers' Rooms meine eigene Dramedy-Serie zu schreiben und mittelfristig in die Position des Showrunners hineinzuwachsen. Also quasi ein Verschmelzen meiner neuen Skills als Autor mit meiner Erfahrung als Producer.