EXKURS: DER GERMAN ROOM

Autor(in): 
Master School Drehbuch

KATRIN MERKEL

Katrin Merkel studierte Germanistik an der Universität Hamburg, parallel dazu arbeitete sie ab 1991 in und für verschiedene TV-Redaktionen. Sie absolvierte die Ausbildung zum Script Consultant an der MSD und arbeitete einige Jahre als TV-Autorin. Von 2005 bis 2009 leitete sie das Lektorat von RTL, seit 2010 ist sie freiberufliche Dramaturgin und Development Producer. An der MSD hat sie zusammen mit Michael Gantenberg als Showrunner 2017 einen Writers’ Room geleitet. Katrin Merkel engagiert sich bei Pro Quote Film und bei VeDRA u.a. für das Fachmagazin WENDEPUNKT.

Wie ist die Idee zu DER GERMAN ROOM entstanden? 

Als Timo und ich unsere gemeinsame Leidenschaft für das US-System Writers‘ Room entdeckt haben war schnell klar, dass uns beide die gleiche Frage umtreibt: warum ist es nur so mühsam, dieses geniale Stoffentwicklungsmodell bei uns zu implementieren? Wir haben angefangen darüber nachzudenken und das Problem zu analysieren – und konnten einfach nicht mehr aufhören. Am Ende ist aus zwei Artikeln im WENDEPUNKT das Buch geworden. Ein Riesenspaß!

Du berätst seit über 15 Jahren die Entwicklung von TV-Serien in Deutschland. Inwiefern verändert sich dieser Prozess zurzeit?

Ich denke man muss hier sehr klar zwischen der Produktion für den nationalen und den internationalen Markt unterscheiden, das sind quasi Parallelwelten. Die einen Prozesse werden durch ökonomischen Druck angetrieben, die anderen eher durch den gesellschaftlichen Diskurs. Der wurde bei uns unter anderem durch die Initiator:innen von Kontrakt 18 angestoßen. Mit einigem Erfolg, wie ich finde: Wie anders manche (leider nicht alle) Autor:innen inzwischen behandelt werden, das markiert schon einen Paradigmenwechsel. Und der wird sich noch sehr viel weiter fortsetzten. Auch wenn viele das total anstrengend finden.

Euer Buch ist auf die Praxis ausgerichtet - Wie können Autor:innen und andere Stoffentwickler:innen am besten damit arbeiten?

Indem sie sich als allererstes fragen, ob sie einen Platz für sich sehen in diesem Modell. Und dann überprüfen, ob auch wirklich alle Beteiligten das gleiche meinen und wollen. Das ist nicht immer so leicht rauszufinden, da es in unserer Branche keine ausgeprägte Kultur gibt, über Prozesse zu kommunizieren. Da hilft nur nachfragen. Deswegen haben wir uns bemüht, die neuralgischen Punkte so präzise wie möglich zu beschreiben – damit alle die richtigen Fragen stellen können. Sich selber, den Kolleg:innen und auch den Auftraggeber:innen.

Erzähl uns, wann und warum Du Dich als Dramaturgin auf Serien spezialisiert hast.

Schon als Autorin, insbesondere aber während meiner Zeit als Lektorin hatte ich viel mit Serien zu tun. So ab 2005 habe ich bei RTL dann die Chance bekommen, mich auch als Dramaturgin mehr in die Entwicklung einzubringen, da habe ich endgültig Feuer gefangen: Warum ist eine Serie so erfolgreich und die andere nicht, was kann die Dramaturgie dazu beitragen? Diese Neugierde hat mich immer angetrieben und tut es bis heute.

Welche Serie aus den letzten Jahren gehört zu Deinen Favoriten und warum?

Uff, das ist schwierig. Meine ersten Binge-Erweckungserlebnisse hatte ich mit 24 und Kommissarin Lund – knallhart plotgetrieben. Blutige Augen nachts um vier hatte ich zuletzt aber mit THIS IS US, bin emotional voll mitgegangen mit diesen tollen Figuren, einfach fantastische Unterhaltung. Tief beeindruckt hat mich auch WENN DIE STILLE EINKEHRT – die dramaturgische Eleganz und das ganz selbstverständliche, unaufgeregte Erzählen, modern, divers und dann auch noch gesellschaftlich relevant, einfach wow.

Was wünschst Du Dir für Deine berufliche Zukunft?

Dass es selbstverständlicher wird, über Prozesse und Strukturen nachzudenken und sich auszutauschen. Dass Stoffentwicklung mehr Wertschätzung erfährt und besser bezahlt wird. Und ich würde so gerne mal eine Produktion erleben, wo alles so stattfindet wie es geplant war... warum nicht mal träumen?

 

TIMO GÖSSLER

Timo Gößler arbeitete für verschiedene Film-, Fernseh- und Theaterproduktionen bevor er an der Filmuniversität KONRAD WOLF Drehbuch / Dramaturgie studierte. 2006 gehörte Timo Gößler zum Entwicklungsteam der Krimiserie UNSCHULDIG (Pro7/Teamworx), dem ersten konsequent nach US-Vorbild aufgebauten Primetime-Writers’ Room. Seit 2009 lehrt er an der Filmuniversität Dramaturgie und Serielles Erzählen, seit 2015 leitet er auch die Weiterbildung „WINTERCLASS Serial Writing and Producing“. Darüber hinaus arbeitet er als Seriendramaturg, Development Producer und Writers’ Room Coach.

Gemeinsam mit Katrin hast Du über ein Jahr an DER GERMAN ROOM gearbeitet. Wie war das für Dich?

Es war ein Riesenglück, dass Katrin und ich uns bei VeDRA begegnet sind! Wir teilen ganz grundsätzlich die Leidenschaft für das US-Modell Writers' Room, haben aber sehr verschiedene Arbeitserfahrungen als Serien-Dramaturg:innen in verschiedenen Branchenkontexten gemacht – das war der perfekte Ausgangspunkt für einen wirklich intensiven und umfassenden Austausch. Es war eine solche Freude, dieses Buch zusammen zu machen!   

Erzähl uns, warum Dich Serien als Dramaturg so interessieren.

Ich glaube, es geht mir da genauso wie weiten Teilen des Publikums: dieser breite erzählerische Raum, die Möglichkeit viele Figuren in ihrer Tiefe zu erzählen, das Entdecken bzw. Bauen einer ganzen Welt. All das fasziniert mich genau so wie die ganz spezifischen Herausforderungen dieser Gattung – Wie schaffen wir das, eine Figur so anzulegen, dass sie viele Stunden lang trägt? Wie balancieren wir die verschiedenen Storylines aus? Was lässt sich alles in dieser oder jener Storyworld erzählen? Das ist ein ums andere Mal ein echtes Abenteuer.    

Welche Trends erkennst Du im aktuellen seriellen Erzählen?

International, aber nach und nach (endlich) auch in Deutschland, wird das Potenzial von Diversität in all ihren Dimensionen entdeckt. Einen Trend aus dem angloamerikanischen Raum finde ich dabei besonders spannend: Statt überwiegend von dunklen Abgründen und gebrochenen Figuren zu erzählen wird immer häufiger die Utopie einer besseren, solidarischeren Welt zu einem motivierenden Mutmacher für das Publikum. Das machen Serien wie Sex Education, Pose, Hollywood oder Schitt's Creek zum Beispiel. 

Worauf kommt es Dir besonders an, wenn Du einen Writers’ Room begleitest?

Das wichtigste ist, dass alle Beteiligten – auch die Auftraggeber und die Produktion – wirklich verstehen, was ein Writers' Room ist und sich ganz auf die Hierarchien, Arbeitsweisen und Abläufe des Modells einlassen. In einem Writers' Room werden permanent „Verträge“ geschlossen, Ich achte immer darauf, dass diese „Verträge“ wirklich abgeschlossen und dann verbindlich eingehalten werden – alles andere ist ein Boykott dieses Arbeitssystems.   

Welche Serie aus den letzten Jahren gehört zu Deinen Favoriten und warum?

Oh je, hier nur eine zu nennen ist praktisch unmöglich. Von den deutschen haben mich vermutlich DARK und BAD BANKS am meisten beeindruckt. Sowohl handwerklich als auch als Zuschauer. Beide Serien sind sehr dicht erzählt, erschaffen ihren ganz eigenen Kosmos und sind in der Umsetzung des jeweiligen narrativen Ansatzes überaus konsequent. International hat mich BIR BASKADIR aus der Türkei sehr begeistert – obwohl oder vermutlich weil diese Geschichte so tief in der gespaltenen türkischen Gesellschaft verortet ist, und dabei eben höchst universell erzählt.  

Was wünschst Du Dir für Deine berufliche Zukunft? 

Ich wünsche mir, dass das erzählerische Handwerk und die Autor:innenarbeit im Film und Fernsehen einen höheren Stellenwert bekommen und wir endlich die unsäglich wertende Trennung von E und U überwinden. Wir sind da auf einem guten Weg, aber solange beispielsweise Kolleg:innen aus der Soap oder Weekly in ihrem handwerklichen Können nicht ähnlich wertgeschätzt und respektiert werden wie die Macher:innen der neuen High-End-Serien, ist da noch viel zu tun.